„Es genügt nicht nur Geld für den Wiederaufbau“

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Die Weißeritztalbahn soll bald in Kipsdorf ankommen. Warum die Freude getrübt ist, erklärt eine Tourismus-Expertin.

22.05.2016

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Anke Eichler vom Tourismusverband Erzgebirge ist froh, dass die Weißeritztalbahn seit 2008 wenigstens wieder bis Dippoldiswalde rollt. Auf dem unteren Abschnitt konnten inzwischen schon touristische Angebote rund um die Bahn etabliert werden. Im oberen Abschnitt ist noch viel zu tun.

© Egbert Kamprath

Es ist nicht zu übersehen: Zwischen Dippoldiswalde und Kurort Kipsdorf wird am Wiederaufbau der Weißeritztalbahn gearbeitet. Rund 15,5 Millionen Euro sind dafür veranschlagt. Ziel ist, bis Jahresende fertig zu werden. Ob dann aber auch Züge auf der elf Kilometer langen Strecke rollen, ist offen. Denn es fehlt Geld, um die Weißeritztalbahn auch betreiben zu können. Die SZ sprach dazu mit Anke Eichler vom Tourismusverband Erzgebirge.

Frau Eichler, haben Sie 14 Jahre nach der Flut selbst noch daran geglaubt, dass die Strecke bis Kurort Kipsdorf wiederaufgebaut wird?

Da kam schon der eine oder andere Zweifel auf.

Was erwartet die Tourismusbranche davon, wenn die Weißeritztalbahn wieder bis Kurort Kipsdorf fährt?

Die Anziehungskraft einer Tourismusregion lebt von den landschaftlichen und infrastrukturellen Besonderheiten. Die Weißeritztalbahn ist die dienstälteste Schmalspurbahn Deutschlands, also eine Besonderheit, mit der wir Eisenbahn- und Technikbegeisterte, aber auch Familien mit Kindern zusätzlich gewinnen können.

Wie kann es gelingen, mit der Bahn mehr Gäste ins Osterzgebirge zu locken?

Um die Weißeritztalbahn in ihrer historischen und touristischen Bedeutung auf dem Markt platzieren zu können, bedarf es des Zusammenspieles aller Partner: der Verkehrsinfrastruktur, Kommunen links und rechts der Bahn, der Leistungsträger, der Hotellerie, Gastronomie, der Vereine und Freizeiteinrichtungen der Region …

Die Bahnfahrt an sich ist ein Erlebnis! Viele Gäste verbinden eine Bahnfahrt jedoch auch mit dem Erreichen eines Zieles oder der zusätzlichen Nutzung eines erstrebenswerten Angebotes. An der Weißeritztalbahn gibt es nicht das Highlight, was an der Strecke liegt und Gäste in Scharen anzieht.

Es gibt viele kleine, liebevolle „Lichtchen“, die es gilt, in Szene zu setzen.

Wie ist Ihrer Meinung nach die Region darauf vorbereitet?

Sicher ist dem einen oder anderen nach der ganzen Vorgeschichte erst jetzt, wo die Baumaßnahmen in vollem Gange sind, bewusst, dass die Bahn tatsächlich am Jahresende wieder nach Kipsdorf fahren wird. Wenn man durch die Orte entlang der Bahnstrecke fährt, kommt man nicht zu dem Schluss, dass die Orte vorbereitet wären. Allerdings weiß ich, dass es in den Orten viele Ideen gibt, die darauf warten, angepackt und umgesetzt zu werden.

Wie kann der Tourismusverband helfen, dass das Projekt im wahrsten Sinn des Wortes ins Rollen kommt?

Bereits vor zwei Jahren haben wir, der Tourismusverband Erzgebirge in Kooperation mit der Sächsischen Dampfeisenbahngesellschaft und dem Verkehrsverbund Oberelbe, im Bahnhof Kipsdorf mit den Bürgermeistern und Interessenvertretern entlang der Bahn besprochen, wie wichtig es ist, das infrastrukturelle Umfeld links und rechts der Weißeritztalbahn sowie die Verknüpfung und Neuentwicklung von touristischen Angeboten parallel zu gestalten. In der Arbeitsgruppe Angebotsentwicklung wurde das Bahnumfeld mit seinen derzeitigen Möglichkeiten unter die Lupe genommen und geschaut, was mit vorhandenem Potenzial entwickelt werden könnte bzw. welche Ideen neu umgesetzt werden müssten. Daraus ist ein Ideenkatalog entstanden, den es gilt, nun zu realisieren.

Was müsste jetzt als Erstes angepackt werden und warum?

Wenn es so leicht wäre, müssten zunächst die ganzen alten Bruchbauten verschwinden. Man sagt zwar, Eigentum verpflichtet, aber einige scheint dies nicht zu bewegen. Die Kommunen haben da, wie es scheint, wenig Handlungsspielraum. Eine weitere Grundvoraussetzung für die Angebotsentwicklung ist ein Fahrplan, dieser liegt bis heute nicht vor! Denn es genügt nicht, Gelder für den Wiederaufbau der Bahn bereitzustellen, wenn ein sinnvoller, regelmäßiger Bahnbetrieb finanziell nicht abgesichert ist. Denn für die Leistungsträger vor Ort ergeben sich viele offene Fragen: Wie oft fährt die Bahn? Wie lange haben die Gäste Aufenthalt? Welche Pakete können Hotels schnüren? Können zusätzlich gastronomische Leistungen angeboten werden? Rechnen sich neue Leistungsangebote? Wie kann ein begleitender bzw. ergänzender Nahverkehr zu und ab den Bahnhöfen erfolgen ? Die Zeit drängt, denn bereits Anfang Juli werden die Gruppenreisen für 2017 gebunden!

Steht noch mehr auf Ihrem Wunschzettel?

In der Prioritätenliste ganz vorn steht ein familienfreundlicher Wanderweg, der zunächst die Bahnhöfe Kipsdorf und Schmiedeberg verbindet. Perspektivisch ist allerdings denkbar, neben der gesamten Bahnstrecke Freital-Kipsdorf einen Wander- und Radweg mit vielen Spiel- und Erlebnispunkten zu etablieren. Weiterhin erhielt die Idee großen Zuspruch, die umliegenden Orte oberhalb von Kipsdorf zum Beispiel mit der Altenberger Bimmelbahn auf Rädern zu verbinden. Denn der Hauptteil der Gäste wohnt in den Kur- und Erholungsorten im oberen Kammgebiet, und diese brauchen gute Anschlüsse zu und ab den Bahnhöfen. Die Bimmelbahn auf Rädern könnte zudem die Müglitztal- mit der Weißeritztalbahn verbinden.

Was würden Sie denn persönlich als reizvoll empfinden, um an einer der Stationen zwischen Dippoldiswalde und Kipsdorf auszusteigen?

Also zunächst freue ich mich, dass Ende Juni der Generationspark direkt am Bahnhof Dippoldiswalde eröffnet wird. Für Familien ist das auf jeden Fall ein sehr schöner, neuer Verweilpunkt. In Obercarsdorf finde ich eine Wanderung zum Wildgehege und Hofladen der Familie Göbel weiter bis zum Aussichtspunkt „Otto’s Eck“ wunderbar. Wer in Schmiedeberg aussteigt, sollte sich auf jedem Fall die neu restaurierte Kirche ansehen. Sie ist ein echtes Schmuckstück, auch das Schulmuseum ist einen Besuch wert, allerdings müssten dort die Öffnungszeiten bei Bahnbetrieb etwas angepasst werden. Familie Dyroff, die im Bahnhof in Schmiedeberg eine Mosaikwerkstatt betreibt, will gern mit Veranstaltungen die Bahngäste zum Verweilen einladen.

Der Endstation in Kipsdorf kommt dabei sicher eine größere Bedeutung zu. Wie sieht es da aus Ihrer Sicht aus?

In Kipsdorf kann man in einer Gaststätte einkehren, Kaffee trinken oder auch eine Wanderung unternehmen. Allerdings müsste an den Endpunkt noch der ein oder andere „Knaller“, um wirklich ein lohnenswertes Ausflugsziel zu sein. Vorstellbar ist vieles: eine Wanderschaukel nach Oberkipsdorf oder Oberbärenburg, also ein Lift, der die Wanderer von einem Ort zum anderen bringt, oder eine Ausstellung „Vom Bauerndorf zum Kurort“, eine Art Museumsdorf, da es in Kipsdorf noch eine Reihe sehr gut erhaltene, aber geschlossene Einrichtungen gibt wie die alte Post, ein Tante-Emma-Laden. Oder was auch mal schön wäre zu sehen: Wie waren die Fremdenzimmer denn früher so eingerichtet, als nach Kipsdorf noch zur Sommerfrische gefahren wurde? Auch eine Kerzenzieherei oder eine Holzwerkstatt als Mitmach-Angebot für Kinder und gleichzeitig auch als Schlechtwetterangebot wären aus meiner Sicht super.

Das Interview führte Mandy Schaks.

Artikel-URL: http://www.sz-online.de/nachrichten/es-genuegt-nicht-nur-geld-fuer-den-wiederaufbau-3401210.html

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