Wenn der Kindheitstraum zum Beruf wird

Von Mareike Huisinga

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André Aurich ist mit ganzem Herzen Lokführer der Weißeritztalbahn. Sein größter Wunsch? Wieder Bahn frei bis Kipsdorf!

Die Pufferküsser sind André Aurich suspekt. „Manche legen sich ja fast auf die Gleise, um ein Foto zu machen“, erzählt der 50-Jährige. Die Rede ist von den hartgesottenen Dampfeisenbahnfans, die es für eine gute Aufnahme mit ihrer eigenen Sicherheit nicht immer so genau nehmen.

André Aurich sieht oft welche, denn er ist Lokführer der Weißeritztalbahn. Seit 2001 fährt er auf der Strecke. Von 2002 bis Ende 2008 musste er eine Zwangspause einlegen, weil die Weißeritz-Flut die Route zerstört hatte.

An diesem Dienstagmorgen schwingt er sich jugendlich auf den Führerstand. Sein Kollege, der Lokheizer Matthias Kleimann, hat schon ordentlich Dampf gemacht. Pfiff, und los geht es in Richtung Dippoldiswalde. Jeder Handgriff sitzt sicher, die beiden Herren sind ein eingespieltes Team. Viel Zeit zum Reden ist beim Weißeritzpark nicht, denn beide schauen aufmerksam auf die Autos und die Straße, die das Gleis quert. „Es gibt auf der Strecke zahlreiche unbeschrankte Bahnübergänge, da muss man besonders vorsichtig sein“, erklärt Aurich.

Mit seinem Beruf hat sich der Leipziger einen Kindheitstraum erfüllt. „Von meinem Klassenzimmer aus konnte ich auf die Eisenbahn schauen, die Technik hat mich von Anfang an interessiert.“ Theoretisch könnte er mit seiner Ausbildung auch einen ICE bei der Deutschen Bahn fahren. „Aber da müsste ich nur einen elektrischen Hebel bewegen. Hier habe ich etwas Handfestes, die Dampflok ist kein Computer, sie lebt“, schwärmt der Lokführer, der in diesem Moment bremst. Mehrere Reisende steigen an der Rabenauer Mühle ein.

Winken gehört dazu

Die junge Schaffnerin pfeift und Abfahrt! Pardon, die korrekte Bezeichnung der jungen Dame lautet Zugführerin; in der Hierarchie steht sie sogar über dem Lokführer und dem Heizer. „Wir müssen nach ihrer Pfeife tanzen, im wahrsten Sinne des Wortes“, meint Matthias Kleimann lächelnd. Nach fünf Minuten Weiterfahrt lauert erneut ein Pufferküsser an der Strecke. Aurich will nicht missverstanden werden. „Es ist schön, wenn sich Menschen für alte Dampfloks interessieren, es ist aber auch eine Frage der Sicherheit.“ Schon oft hat er für diese Enthusiasten bremsen müssen. Mit einer Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern schnauft die „Butte“, wie die Lok manchmal liebevoll von Aurich genannt wird, durch den Rabenauer Grund.

Im Kessel lodert eine Hitze von mindestens 350 Grad. Kleimann heizt noch mal ordentlich nach, schließlich geht es bergauf. Obwohl Aurich die Strecke schon zigmal gefahren ist, entdeckt er immer wieder Neues. Kurz nach Seifersdorf schauen die Bahner nach rechts. „Mal gucken, was unser Kleiner macht“, sagt Kleimann. Gemeint ist das süße Yak-Baby, das vor vier Wochen geboren wurde und sich heute zufrieden auf der Weide sonnt. Immer wieder müssen die beiden Kindern und Passanten an der Strecke zurückwinken.

Aurich und sein Kollege haben einen großen Wunsch: Dass endlich die Strecke von Dippoldiswalde nach Kipsdorf wieder aufgebaut wird, die die Flut 2002 zerstört hatte. „So ist die Route amputiert“, sagt Kleimann. Oft werden die beiden von Fahrgästen gefragt, wann man wieder bis zur eigentlichen Endstation durchfahren könnte. Ein Achselzucken ist ihre Antwort. „Seit zehn Jahren werden wir von den Verantwortlichen nur vertröstet“, ärgert sich Aurich. Optimismus verbreitet allerdings Roland Richter von der Sächsischen Dampfeisenbahngesellschaft: „Wir gehen davon aus, dass wir 2014 wieder bis nach Kipsdorf fahren.“ Worte, die Aurich gerne gehört.

Für Nachwuchs ist gesorgt

Nach einer Dreiviertelstunde erreicht die Dampfeisenbahn den Dippser Bahnhof. Kurzer Check, Wasser wird aufgetankt und Aurich macht „Kopf“. Er koppelt die Waggons ab und setzt sich mit seiner Lokomotive über das Nachbargleis ans andere Ende des Zuges, um die Rückfahrt anzutreten.

Für André Aurich steht fest: Auch wenn er in 15 Jahren in Rente geht, er bleibt der Bimmel treu. Überhaupt ist für Nachwuchs gesorgt, denn Aurichs Sohn Fabian (14) hat ebenfalls ein Faible für alte Technik und Dampfloks. „Vielleicht übernimmt er ja mal meinen Job?“ sagt sein Vater mit einem Schmunzeln.

Quelle: sz-online/Sächsische Zeitung, Montag, 9. Juli 2012
Artikel-URL: http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=3102756

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